Erbunwürdigkeit bei strafbarer Handlung gegen die Verlassenschaft

Straftat gegen die Verlassenschaft macht nur selten erbunwürdig

Straftat gegen Verlassenschaft: Zur bahnbrechenden Entscheidung OGH 20.02.2024, 2 Ob 200/23k

Macht eine Straftat gegen die Verlassenschaft erbunwürdig? Beispiele aus der Praxis gibt es viele:

  • Die von der Tochter mit Bereicherungsvorsatz aus der Wohnung der bereits Verstorbenen weggenommene Goldkette.
  • Das vom Sohn mit Bereicherungsvorsatz kurz nach dem Tod leergeräumte Bankkonto des Verstorbenen.
  • Das vom Ehegatten mit Bereicherungsvorsatz nach ihrem Tod eingesteckte Sparbuch der Verstorbenen.

Straftat gegen die Verlassenschaft und Erbunwürdigkeit: Weshalb war die genannte OGH-Entscheidung bahnbrechend?

Der OGH musste in dieser Entscheidung eine in der erbrechtlichen Literatur seit Jahren umstrittene Frage beantworten. Um diese Frage zu erläutern, muss ich ein wenig ausholen:

(Hinweis: Der Autor dieser Zeilen ist auch der Autor der in diesem Fall erhobenen Revision an den Obersten Gerichtshof. Er kann hier also nicht ganz neutral sein. Vgl zu diesem Fall auch diesen Bericht auf www.derstandard.at.)

  • Erbunwürdig ist (u.a.), wer gegen den Verstorbenen oder die Verlassenschaft eine gerichtlich strafbare Handlung begangen hat. Dies aber nur, wenn die Straftat nur vorsätzlich begangen werden kann und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist (§ 539 ABGB). Überdies darf der Verstobene dem Täter nicht verziehen haben.
  • Wer aber gegen den noch lebenden Erblasser ein strafbares Vermögensdelikt begeht, für den gilt eine Strafdrohung von höchstens sechs Monaten, wenn er mit dem Erblasser ausreichend nahe verwandt ist. Das bestimmt § 166 StGB („Begehung im Familienkreis“, auch als „Angehörigenprivileg“ bezeichnet). Dieses Angehörigenprivileg erfasst etwa die Delikte Diebstahl, Veruntreuung, Unterschlagung oder Betrug. Und diese Reduktion des Strafmaßes auf höchstens sechs Monate führt im Ergebnis dazu, dass nahe Angehörige den noch lebenden Erblasser bestehlen oder betrügen können, ohne eine Erbunwürdigkeit befürchten zu müssen. Das ist schon seit Jahrzehnten so.
  • Erst seit 2017 führt auch eine gerichtlich strafbare Handlung gegen die Verlassenschaft zur Erbunwürdigkeit. Der Tatbestand der Erbunwürdigkeit wurde dadurch weiter. Denn bis 2017 waren Straftaten gegen die Verlassenschaft kein Erbunwürdigkeitsgrund. Und jetzt wird es spannend: § 166 StGB ist nach der herrschenden Meinung bei Straftaten gegen die Verlassenschaft nicht anwendbar, weil eine Verlassenschaft keine nahen Angehörigen haben kann. Die erbrechtlichen Konsequenzen wiegen schwer: Wer seine noch lebende Mutter bestiehlt, kann nach ihr erben. Wer nach ihrem Tod in die Verlassenschaft fallende Vermögenswerte stiehlt, wird dadurch zumindest nach dem Gesetzeswortlaut erbunwürdig.
  • Das könnte man als widersprüchlich empfinden. Ist es nicht verwerflicher, die noch lebende Mutter zu bestehlen, als ihre Verlassenschaft?

Die vom OGH zu lösende Rechtsfrage lautete daher:

Wird erbunwürdig (genauer: „legatsunwürdig“), wer ein Vermögensdelikt gegen die Verlassenschaft nach dem verstorbenen nahen Angehörigen begeht, wo doch dasselbe Vermögensdelikt, begangen gegen den noch lebenden Angehörigen, nicht erbunwürdig gemacht hätte?

Welche Straftat gegen die Verlassenschaft war im konkreten Fall begangen worden? Was war passiert?

Das Erstgericht hatte in erster Instanz den folgenden Sachverhalt festgestellt:

2017 schlossen der Erblasser und seine Lebensgefährtin gemeinsam einen Safevertrag für ein Bankschließfach ab. Darin lagerten Wertgegenstände der Familie des Erblassers. Die Wertgegenstände der Lebensgefährtin lagerte diese in ihrem eigenen Bankschließfach. Der Erblasser starb. In seinem Testament hatte er seine beiden Kinder als Erben eingesetzt. Jedoch hatte er darin seiner Lebensgefährtin die zuletzt gemeinsam bewohnte Wohnung samt Wohnungsinhalt und ein Kontoguthaben vermacht („Legat“).

Während des noch laufenden Verlassenschaftsverfahrens löste die im Besitz des Schlüssels zum Bankschließfach befindliche Lebensgefährtin dieses auf und lagerte sämtliche Wertgegenstände in ihrem eigenen Bankschließfach. Das, obwohl sie wusste, dass sich ein Großteil dieser Sachen zum Zeitpunkt seines Ablebens im Eigentum des Erblassers befunden hatte und in weiterer Folge den Erben zustehen würde. Sie hatte den Vorsatz, sich an den der Verlassenschaft nach ihrem verstorbenen Lebensgefährten zugehörigen Gegenständen unrechtmäßig zu bereichern. Die der Verlassenschaft zugehörigen Gegenstände hatten einen Wert von 22.987 EUR. Ihrem Rechtsvertreter gegenüber gab die Klägerin wahrheitswidrig an, die Wertgegenstände seien ihr vom Erblasser noch zu seinen Lebzeiten geschenkt worden. Sie selbst verstarb ca. einen Monat später.

(Wichtig: Der „wahre“ Sachverhalt war – wie so oft – umstritten. Die beteiligten Personen waren schon verstorben und konnten deshalb nicht mehr befragt werden. Diese erstgerichtlichen Feststellungen sind das Ergebnis der freien Beweiswürdigung durch das Erstgericht. Der Oberste Gerichtshof ist daran gebunden.)

Der Verlauf des Gerichtsverfahrens – Die Unterinstanzen bejahen die Erbunwürdigkeit

Die Klägerin ist die Verlassenschaft nach der verstorbenen Lebensgefährtin. Die Beklagten sind die Erben nach dem Erblasser (somit seine Kinder). Die Klägerin begehrte die Herausgabe der vermachten Wohnung (samt Inhalt) und des vermachten Kontoguthabens. Es handelte sich also um eine typische Vermächtnisklage.

Die beklagten Kinder argumentierten, die Lebensgefährtin sei erbunwürdig (genauer: legatsunwürdig) gewesen, weil sie eine Straftat gegen die Verlassenschaft begangen habe. Die Bestimmung des § 166 StGB sei nicht anwendbar.

Die Klägerin bestritt den Bereicherungsvorsatz der Lebensgefährtin. Sie argumentierte, dass keine strafbare Handlung vorlag. Insoweit war die Klägerin aber nicht erfolgreich. Das Erstgericht stellte im Rahmen der freien Beweiswürdigung den oben dargelegten Sachverhalt fest, insbesondere auch den Bereicherungsvorsatz der Lebensgefährtin. Außerdem argumentierte die Klägerin aber, dass auch eine Straftat gegen die Verlassenschaft nur dann zur Erbunwürdigkeit führen könnte, wenn dieselbe Tat auch erbunwürdig gemacht hätte, wäre sie gegen den noch lebenden Erblasser begangen worden. Das wiederum wäre hier nicht der Fall gewesen: Denn als Lebensgefährtin im gemeinsamen Haushalt war sie nahe Angehörige gemäß § 166 StGB. Als solche konnte sie durch ein Vermögensdelikt gegen den noch lebenden Erblasser nicht erbunwürdig werden (siehe dazu schon ganz oben in diesem Beitrag).

Das Landesgericht und das Oberlandesgericht wiesen die Vermächtnisklage ab. Ausgehend vom oben beschriebenen festgestellten Sachverhalt meinten sie, die Lebensgefährtin habe eine Straftat gegen die Verlassenschaft begangen. Die Strafdrohung übersteige ein Jahr. Das „Angehörigenprivileg“ des § 166 StGB sei auf Straftaten gegen die Verlassenschaft nicht anwendbar. Es könne deshalb auch erbrechtlich keine Rolle spielen. Die Lebensgefährtin sei daher legatsunwürdig geworden.

Dagegen richtete die Klägerin ihre Revision an den Obersten Gerichtshof. In einer Revision ist es nicht mehr möglich, den festgestellten Sachverhalt (die Beweiswürdigung durch das Erstgericht) zu bekämpfen. Die Klägerin stützte sich deshalb vor allem auf § 166 StGB und ihre nahe Angehörigeneigenschaft. Sie bekämpfte die rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen.

Der OGH folgt den Argumenten der Klägerin und dreht die Entscheidung

Die Klägerin legte in ihrer Argumentation den folgenden Schwerpunkt (hier stark verkürzt und zusammengefasst): Sie könne nicht erbunwürdig sein, weil sie auch nicht erbunwürdig gewesen wäre, hätte sie dieselbe Straftat gegen ihren noch lebenden Lebensgefährten begangen. Es wäre widersprüchlich, die Straftat gegen die Verlassenschaft härter zu sanktionieren als die Straftat gegen den noch lebenden Angehörigen. Schließlich sanktioniere die Erbunwürdigkeit das Unrecht der Tat im Verhältnis zum Erblasser. Der Gesetzgeber habe diesen Widerspruch 2017 übersehen. Ähnlich wie bei einer Analogie müsse daher vom Wortlaut des Gesetzes abgewichen werden. Es komme zu einer teleologischen Reduktion (Gegenteil einer Analogie): Entgegen seinem reinen Wortlaut wird das Gesetz auf den Sachverhalt nicht angewendet.

Die Beklagten konterten (auch hier stark verkürzt und zusammengefasst) mit dem Argument, § 166 StGB sei für Fragen der Erbunwürdigkeit in Wahrheit gar nicht anwendbar, also auch nicht für Straftaten gegen den noch lebenden Erblasser. Schon daher liege ein Widerspruch nicht vor. Abgesehen davon liege ein Widerspruch auch deshalb nicht vor, weil sich die Straftat gegen die Verlassenschaft im Ergebnis gegen die Erben richte, nicht gegen den Erblasser.

Nach einer ausführlichen Auseinandersetzung mit den Lehrmeinungen und Argumenten folgte der OGH der Rechtsmeinung der Klägerin und änderte das Urteil der Vorinstanzen ab. Die Klägerin bekam alles zugesprochen, was sie in ihrer Klage begehrt hatte.

Conclusio: Straftat gegen die Verlassenschaft macht nur selten erbunwürdig

Am Ende seiner Entscheidung fasste der OGH seine Rechtsmeinung folgendermaßen zusammen (Fettdruck durch mich):

Auch im Anwendungsbereich des ErbRÄG 2015 ist bei Begehung einer gerichtlich strafbaren Handlung gegen den Erblasser die Privilegierung des § 166 StGB zu beachten. Im Fall der Begehung einer gerichtlich strafbaren Handlung gegen die Verlassenschaft ist § 539 ABGB zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen dahin teleologisch zu reduzieren, dass Erbunwürdigkeit nur dann eintritt, wenn auch die Tatbegehung zum unmittelbaren Nachteil des Erblassers unter Beachtung des § 166 StGB zu Erbunwürdigkeit führen würde.

Da eine Tatbegehung durch die Klägerin zum unmittelbaren Nachteil des Erblassers – ihres Lebensgefährten – aufgrund der Anwendbarkeit von § 166 StGB nicht zu ihrer Erbunwürdigkeit geführt hätte, tritt durch das von ihr gegen die Verlassenschaft begangene Delikt keine Erbunwürdigkeit ein. Da keine sonstigen Einwände gegen die Gültigkeit des Legats erhoben wurden, war dem Klagebegehren in Abänderung der angefochtenen Entscheidung stattzugeben.

Mehr zum Thema Erbunwürdigkeit und Enterben finden Sie hier.


Bild von Gaertringen auf Pixabay.

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner