OGH 19.11.2024, 2 Ob 248/23v bringt Klarheit zur Schenkungsabsicht und Beweislast bei gemischten Schenkungen
Kinder und Ehegatten/eingetragene Partner sind pflichtteilsberechtigt. Das bedeutet, dass ihnen jedenfalls ein Anteil an der Verlassenschaft zusteht – unabhängig vom und sogar gegen den Willen des Verstorbenen. Auch wenn es ein Testament gibt, in dem Pflichtteilsberechtigte nicht oder nicht ausreichend bedacht werden, haben sie einen Anspruch gegen die Verlassenschaft bzw die Erben auf den ihnen zustehenden Anteil.
Die Höhe des Pflichtteils beträgt die Hälfte dessen, was die Pflichtteilsberechtigten geerbt hätten, wenn es kein Testament gegeben hätte („gesetzliche Erbfolge“). Hinterlässt der Verstorbene zB seine Ehefrau und ein Kind, dann würde die Ehefrau bei gesetzlicher Erbfolge 1/3 und das Kind 2/3 des Vermögens erhalten. Der Pflichtteil beträgt die Hälfte davon, also für die Ehefrau 1/6 und für das Kind 1/3. Selbst wenn also laut Testament der Tierschutzverein „alles bekommen“ soll, erhalten Ehefrau und Kind ihre (Pflicht-)Teile. Und wenn im Testament die Ehefrau als Alleinerbin eingesetzt ist, kann das Kind seinen (Pflicht-)Teil verlangen.
Gefahr der Verkürzung durch lebzeitige Schenkungen: Anrechnung und Geschenknehmerhaftung
Da der Pflichtteil als Quote von der Verlassenschaft berechnet wird – im Beispiel: 1/6 für die Ehefrau und 1/3 für das Kind –, besteht die Gefahr, dass der Erblasser noch zu Lebzeiten versucht, den Pflichtteil auszuhöhlen. Setzt er die Ehefrau oder den Tierschutzverein nicht als Erben ein, sondern hat er ihnen schon zu Lebzeiten – oft kurz vor dem Tod – einen Großteil seines Vermögens geschenkt, würde das den Pflichtteil erheblich verkürzen. Er beträgt dann zwar noch immer 1/6 bzw 1/3. Jedoch ist das Vermögen, das in die Verlassenschaft fällt und von dem die Pflichtteile berechnet werden, viel geringer.
Das widerspricht aber dem Grundsatz, dass der Pflichtteil unabhängig vom Willen des Erblassers zustehen soll. Das Gesetz versucht daher, solche „Umgehungen“ zu verhindern. Schenkungen, die der Erblasser zu Lebzeiten getätigt hat, werden bei der Berechnung der Pflichtteile daher ausgeblendet: Man spricht von „Hinzu- und Anrechnung auf den Pflichtteil“ (§§ 781 ff ABGB). Dabei wird rechnerisch so getan, als hätte es die Schenkung nicht gegeben, und der Pflichtteil auf Basis der höheren Verlassenschaft berechnet. Die Pflichtteilsberechtigten erhalten also denselben absoluten Betrag, den sie bekommen hätten, wenn es die Schenkung nicht gegeben hätte. Reicht die Verlassenschaft nicht aus, um diese Beträge zu decken – etwa, weil der Verstorbene sein gesamtes Vermögen verschenkt hat –, kann der Pflichtteilsberechtigte sogar den Geschenknehmer selbst in Anspruch nehmen („Haftung des Geschenknehmers“, §§ 789 ff ABGB).
Theoretisch einfach, praktisch kompliziert – die gemischte Schenkung
Natürlich sind dabei noch weitere Details zu berücksichtigen. Das Gesetz unterscheidet etwa für die Frage, ob alle Schenkungen angerechnet werden oder nur jene, die innerhalb von zwei Jahren vor dem Tod des Erblassers gemacht wurden, nach der Person des Geschenknehmers. Theoretisch ist die Idee des Gesetzgebers aber klar: Schenkungen, die der Erblasser zu Lebzeiten vorgenommen hat, sollen den Pflichtteil nicht schmälern.
Praktisch führt dieser Themenkomplex aber immer wieder zu Streitigkeiten. Berücksichtigt werden nämlich nur Schenkungen und gleichgestellte Geschäfte gemäß § 781 ABGB. Entscheidend ist also, ob überhaupt eine solche Schenkung vorliegt, was in manchen Fällen einfacher zu beurteilen ist als in anderen. Besondern kompliziert sind in der Praxis Fälle der vorweggenommenen Erbfolge, wenn also Eltern ihren Kindern schon zu Lebzeiten einen großen Anteil ihres Vermögens – zum Beispiel eine Liegenschaft oder einen Hof – überlassen, sich dafür aber bestimmte Versorgungsleistungen (Wohnrecht, monatliche Unterhaltszahlungen) vorbehalten und die Kinder etwaige Schulden übernehmen. Ist das dann überhaupt eine Schenkung?
Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung: Anrechnung und Geschenknehmerhaftung setzen Schenkungsabsicht voraus
Ist die übergebene Liegenschaft mehr wert als die Gegenleistungen, dann könnte durchaus eine sogenannte „gemischte Schenkung“ vorliegen. Dabei wird eine Sache eben nur zum Teil geschenkt, während für den anderen Teil eine Gegenleistung – etwa Versorgungsleistungen – erbracht werden. Allerdings verlangt der Oberste Gerichtshof (OGH) auch bei gemischten Schenkungen seit jeher, dass der Übergeber eine sogenannte „Schenkungsabsicht“ hat (RS0019356): Es reicht also nicht, dass Leistung und Gegenleistung objektiv in einem Missverhältnis zueinander stehen, der Geschenkgeber muss auch subjektiv schenken wollen. Das Problem ist, dass man den Erblasser im Pflichtteilsprozess nach dieser subjektiven Komponente nicht mehr fragen kann – er ist ja nicht mehr am Leben! Wie soll der Pflichtteilsberechtigte, der dafür die Beweislast trägt, dann aber die Schenkungsabsicht nachweisen?
Nach der Novellierung des Erbrechts mit dem ErbRÄG 2015 bestand kurz die Hoffnung, dass sich derartige Beweisprobleme in Zukunft nicht mehr stellen würden. Seit damals gilt nämlich auch „jede andere Leistung, die nach ihrem wirtschaftlichen Gehalt einem unentgeltlichen Rechtsgeschäft unter Lebenden gleichkommt“, als Schenkung (§ 781 Abs 2 Z 6 ABGB). Dieser Tatbestand setzt anders als die klassische Schenkung (§ 781 Abs 1 ABGB) keine Schenkungsabsicht voraus, sodass die Idee aufkam, sich dann, wenn der Nachweis der Schenkungsabsicht nicht gelingt, eben auf § 781 Abs 2 Z 6 ABGB zu stützen. Dann wäre es unterm Strich egal, ob der Erblasser Schenkungsabsicht hatte oder nicht – der unentgeltliche Teil der Verfügung wäre pflichtteilsrechtlich jedenfalls zu berücksichtigen.
Anfang 2021 sah es so aus, als würde der OGH diesen Ansatz billigen (2 Ob 110/20w Rz 37), Ende 2022 ist er davon aber wieder abgerückt. In zwei Entscheidungen vom selben Tag hat er festgehalten, dass Zuwendungen, die „die objektiven Voraussetzungen einer (gemischten) Schenkung nach § 938 ABGB erfüllen und daher unter § 781 Abs 1 ABGB fallen können“ – was natürlich nur dann der Fall ist, wenn subjektiv Schenkungsabsicht vorliegt –, von vornherein nicht unter § 781 Abs 2 Z 6 ABGB fallen könnten (2 Ob 184/22f Rz 26; 2 Ob 205/22v Rz 39). Mit der Entscheidung 2 Ob 248/23v von Ende 2024 hat der OGH diesen Zugang fixiert: Nach Auseinandersetzung mit der Diskussion in der Lehre hält er daran fest, dass gemischte Schenkungen nur unter § 781 Abs 1 ABGB fallen können und daher Schenkungsabsicht voraussetzen (Rz 16-21). Inzwischen kann man somit von einer ständigen Rechtsprechung ausgehen, von der der OGH wohl allzu bald nicht mehr abgehen wird.
Neuerungen: Abhilfe beim Nachweis der Schenkungsabsicht durch „Anscheinsbeweis“
Der Pflichtteilsberechtigte kommt so aber in enorme Beweisschwierigkeiten. Er muss ja irgendwie nachweisen, dass der Erblasser Schenkungsabsicht hatte. Das hat der OGH auch in einer der Entscheidungen aus 2022 betont: Der Pflichtteilsberechtigte „ist für das Vorliegen der Schenkungsabsicht als anspruchsbegründende Tatsache beweispflichtig“, weil Schenkungsabsicht nicht zu vermuten sei (2 Ob 205/22v Rz 42). Der andere Vertragspartner der gemischten Schenkung wird dabei wenig behilflich sein, der Nachweis der Schenkungsabsicht schadet ihm ja. Außerdem ist es möglich, dass auch dieser nicht mehr am Leben ist und das Verfahren gegen dessen Erben geführt wird.
Dieser Problemlage hat der OGH nun Rechnung getragen und ist mit ausführlicher Begründung von seiner ganz strengen Linie abgerückt (2 Ob 248/23v Rz 22-78): Er bleibt zwar dabei, dass die Schenkungsabsicht auch bei einem Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung nicht vermutet wird, was eine Beweislastverschiebung zur Konsequenz gehabt hätte (dann müsste der Prozessgegner nachweisen, dass keine Schenkungsabsicht vorlag). Der OGH gesteht dem Pflichtteilsberechtigten aber einen sogenannten „Anscheinsbeweis“ (auch: „Prima-facie-Beweis“) zu. Bei einem Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung könne auf den ersten Anschein („prima facie“) auf das Vorliegen von Schenkungsabsicht geschlossen werden, weil typischerweise davon auszugehen sei, dass der Verstorbene in solchen Situationen mit Schenkungsabsicht gehandelt hat. Im Unterschied zur Vermutung reicht es beim Anscheinsbeweis aber aus, wenn der Prozessgegner einen anderen als den typischen Geschehensablauf plausibel macht; eine Beweislastverschiebung geht damit nicht einher.
Take-aways für die praktische Handhabe von gemischten Schenkungen
Der OGH klärt damit wichtige Fragen im Zusammenhang mit gemischten Schenkungen, wie sie der vorweggenommenen Erbfolge häufig zugrunde liegen: Für die Berücksichtigung im Pflichtteilsprozess ist weiterhin Schenkungsabsicht zu verlangen, auf die bei einem Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung aber immerhin prima facie geschlossen werden kann.
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